Weisheit bezeichnet hier die Menge der Erkenntnisse, die zu einem glücklichen Dasein führen.
Manchen Menschen fällt es leicht, Zusammenhänge zu erkennen. Zur Spiritualität finden sie, wenn sie sich irgendwann mit der Funktionsweise von Leid und Glück beschäftigen. Immer wieder stellen sie eine gewisse innere Unzufriedenheit in sich fest, einen gewissen inneren Widerstand, eine gewisse Reibung mit der Welt. Sie fragen sich, warum das so ist und was man dagegen tun könnte.
Derartige Überlegungen können dazu führen, dass man sich einen spirituellen Weg erschließt. Entweder findet man einen, der befriedigende Antworten auf die eigenen Fragen liefert und mit bereits bestehenden Überzeugungen ausreichend kompatibel ist, oder man geht seinen ganz eigenen Weg. Den Zugang zur Spiritualität hat man in dem Moment erlangt, in dem man motiviert genug ist, sich zu disziplinieren.
Weniger forschsame Menschen finden über die Weisheit nicht so leicht zur Spiritualität. Im Laufe ihres Lebens sammeln jedoch auch sie automatisch zahlreiche Eindrücke von Leid und Glück. Wenn sie irgendwann auf ihr bisheriges Leben zurückblicken und erkennen, wie wenig Wert es hatte, sich all die Sorgen und all den Stress zu machen, besinnen sie sich vielleicht auf das, was sie wirklich glücklich gemacht hat und richten ihr Leben danach aus. Nun haben sie sich den Wert der Disziplin erschlossen und befinden sich auf dem Weg zum Glück.
Auch religiöses Dogma gehört zum Aspekt der Weisheit, denn es erzeugt in den Praktzierenden bei ausreichender Konzentration ein tiefes Wahrheitsgefühl und befreiendes Verständnis. Die meiste Flexibilität und Nachhaltigkeit erhält man jedoch, wenn man seine eigene Erfahrung als Quelle der Weisheit nutzt, denn die ist unabhängig von spezifischen Glaubensvorstellungen, welche in der Zukunft angezweifelt werden könnten. In der Praxis finden sich häufig Mischformen, bei denen individuelle Erfahrung auf Basis religiöser Glaubensvorstellungen interpretiert wird. In meinem Unterricht biete ich meist neurowissenschaftliche und evolutionäre Erklärungsmodelle an. Der spirituelle Weg, den ich unterrichte, ist aber erklärungsagnostisch und daher nicht nur zukunftssicher, was die wissenschaftliche Entwicklung betrifft, sondern prinzipiell auch mit unwissenschaftlichen Ideologien kompatibel. Im Vordergrund steht immer die direkte Erfahrung.
Da viele Menschen heute undiszipliniert und unkonzentriert sind, finden sie den Zugang am leichtesten über die Weisheit. Hier ein paar Denkanstöße dafür:
- Wie war es, als Sie glücklich waren? Wie war es, als Sie unglücklich waren? Fallen Ihnen bestimmte Muster auf?
- Wie wäre es, wenn es für einen Moment absolut nichts gäbe, was Sie ändern wollen würden?
- Wie wäre es dagegen, wenn Sie etwas anders haben wollen würden, als es gerade ist? Was ändert sich in Ihnen im Vergleich zur vorausgegangenen Frage?
- Führt Belohnungsfreude Ihrer Erfahrung nach zu zukünftigem Verlangen? Konnte Ihr Verlangen immer befriedigt werden? Ist unbefriedigtes Verlangen für Sie leidvoll?
- Was ist Schmerz? Ist Schmerz für Sie grundsätzlich leidvoll oder gibt es einen Unterschied zwischen Schmerz und Leid?
- Bemerken Sie, wie die meiste Zeit in Ihnen eine Geschichte über Ihr Leben erzählt wird. Sind Sie wirklich der Protagonist dieser Lebensgeschichte? Wer erzählt dann diese Geschichte und wem wird sie erzählt?